SPOKE MAGAZINE AUF TOUR TRANSALP
In der letzten Woche haben es sich Thomas und Martin vom Spokemag richtig besorgt. 860 Kilometer, knapp 20.000 Höhenmeter, 7 Etappen. Hier ist Martins Tour-Tagebuch als Ganzes für alle, die die Tour Erlebnisse nicht in den täglichen Blog-Posts verfolgt haben...
Der Anfang vom Ende: Tour Transalp und der erste Tag
Etappe 1: 121 Kilometer, 4:52:50, 2343 Höhenmeter, 2314 Kalorien.
Da geht sie also los, die Tour Transalp. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Nicht nur, dass ich mir im Februar einen Mittelhandbruch inklusive Operation und zwei Monaten Pause zugezogen hatte, jetzt sucht mich auch noch pünktlich zum Start der Tour eine fiese Erkältung heim. Die Warmup Runde gestern mit meinem superfitten Teamkollegen Thomas tat ihr Übriges: mein Optimismus am Start hielt sich in überschaubaren Grenzen. Meine Taktik für heute lautete also: ruhig gehen lassen, bloß nicht übertreiben und irgendwie ins Ziel kommen.
Tatsächlich fühlte ich mich nach ein paar Kilometern Einrollen ganz gut. Ich hatte ein Auge auf die Pulsuhr und eines auf die echt schöne Landschaft! Wäre es nicht so anstrengend, man könnte es glatt genießen. Nach ca. 20 Kilometern mein erstes Highlight. Die Baustelle. „Schön vorsichtig fahren“, wurde uns gestern bei der Streckenpräsentation eingebläut. Mir juckte es in den Fingerspitzen: geil, offroad! Also Bremsen auf und schön laufen lassen. Hab doch Tubeless Reifen, was soll schon passieren.
Langsam spulten wir leise surrend Kilometer für Kilometer ab. Selbst wenn wir laut gesurrt hätten, hätte man uns nicht gehört. Ferienbeginn plus Sonnenschein lockten nämlich nicht nur Radfahrer, sondern auch sämtliche Arten von KFZ auf die Pässe, die so irgendwie nicht mehr besonders unberührt sondern ganz schön busy waren. Zur Krönung geriet einer Motorradfahrerin ihr stählernes Ross direkt vor mir außer Kontrolle und sie legte es unsanft auf die Seite. So, dass der Autofahrer hinter ihr bremsen musste. Sofort ging es los und alle schnauzten sich sehr unentspannt an. Und wir Radfahrer fuhren einfach dran vorbei.
Der letzte Pass, der Hahntennjoch, hatte es ganz schön in sich. Etwa 1000 Höhenmeter am Stück mit kerniger Steigung. In wunderschönen Spitzkehren wand sich die Straße den Berg hinauf. Ab und an führte sie durch kurze Tunnel, die das männliche Geblubber der diversen, viel zu dicht überholenden Harleys zu einem ohrenbetäubenden Lärm verstärkten. Schöne, unberührte Bergwelt.
"Wie lange geht denn das Getrampel noch?", fragte mich kurz vor dem Gipfel der Fahrer eines Bremer Radclubs. Tja, so lange Anstiege sind wir wohl beide nicht gewöhnt. Irgendwann war es geschafft. Das Highlight des Tages stand bevor: 10 Kilometer allerfeinste Abfahrt mit einem wahnsinns Alpenpanorama. Einfach wow! Eine perfekte Belohnung für die Strapazen der ersten Etappe, die uns gestern als einigermaßen entspannte Aufwärmetappe verkauft wurde.
Ich bin froh, dass meine Erkältung sich wohl wieder etwas beruhigt hat und ich den Tag einigermaßen gut überstanden habe. Ein bisschen in Sorge bin ich dennoch, denn das war erst der erste Streich. Sechs weitere folgen sogleich!
Und damit das auch gut klappt, wird jetzt die Regenerations Kompressionsbuxe angezogenen, der Eiweissdrink gemixt und das Abendmenü geordert. Will mir schließlich später nicht vorwerfen lassen, ich hätte nicht alles gegeben...
Stirb Langsam Teil 2: Von Bergen Und Pässen
Etappe 2: 135 Kilometer, 6:36:29, 3205 Höhenmeter, 2939 Kalorien
Los geht´s. Imst bietet eine sagenhafte Startkulisse. Sämtliche Schüler nebst Eltern, Brüdern, Schwestern, Oma und Opa zelebrieren den letzten Schultag und säumen den Straßenrand, machen richtig Lärm, klatschen jeden ab, der seine Hand ausstreckt und verbreiten einfach richtig cooles Tour de France Feeling. Fünf Minuten wichtig sein, 5 Minuten bejubelt werden. 6 Stunden und ein paar Minuten leiden.
Aber kommen wir erst zu den erfreulichen Erkenntnissen des Tages: das Wetter ist perfekt. Sonnenschein, nicht zu warm, alles bestens. Die Landschaft ist berauschend. Tolles Alpenpanorama, malerische Flüsse, Wasserfälle, Eisenbahnbrücken, wie im Bildband „Wunderschöne Alpenlandschaft“. Und das Beste daran: ganz ohne übertrieben großes Verkehrsaufkommen.
Bereits nach etwa 40 Kilometern frage ich mich, wie ich diesen Tag überstehen soll. Gestern noch voller Euphorie und dem Gefühl, irgendwie gar nicht so fertig zu sein, heute die ernüchternde Erkenntnis, dass Eiweisspulver, Regenerationshose und Fressorgie keine Wunder vollbracht haben. Die Gesichter um mich herum scheinen über ähnliches zu grübeln. Dem ersten längeren Anstieg folgt eine elend lange, flache Passage und irgendwie bin ich in eine Gruppe mit unerklärlichem Stop-and-Go-Verhalten geraten. Zwischen irgendwie zu langsam und viel zu anstrengend ist alles dabei. Echt ermüdend. 60 Kilometer. Ich darf meinen zweiten Riegel. Alle 30 Kilometer einen. Die hohe Kunst der Motivation. Äußerst unmotivierend ist es dagegen, wenn das Roadbook 2 Kilometer von meinem Garmin abweicht. Verdammt, ich müsste doch längst oben sein, warum sehe ich noch so eine blöde Rampe? Dann endlich wieder eine Abfahrt. Mit Schotterstück. 2 Minuten bin ich in meinem Wohlfühlbereich, bevor es wieder kernig bergauf geht. Doch alles bis zum zweiten Servicestopp ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Denn dann kommt der finale 1000 Höhenmeter Anstieg.
Wird schon nicht so schlimm. Denkste. Mein (wie ich gestern lernte) Kompaktantrieb ist scheinbar immer noch nicht kompakt genug, um meinen müden Beinchen die Übersetzung zu bieten, die es ihnen ermöglichen würde, entspannt in Richtung Gipfel zu pedalieren. Also wechsle ich ab: sitzend mit zu viel Kraft und niedriger Trittfrequenz oder stehend mit Knie- und Rückenschmerzen. Die Baumgrenze. Die Schneegrenze. Über 2300 Meter hoch führt uns dieser wunderschöne aber echt anstrengende Pass. Ich ziehe mir die Windjacke an, denn jetzt folgen 10 Kilometer Downhill-Geballer. Eigentlich eine feine Sache. Nach 120 Kilometern Alpentour kann ich mich nur bedingt darüber freuen. Immerhin ist es schnell vorbei. Im Ziel treffe ich Philipp von Schwalbe, der hat Erfahrung mit Rennradrennen und der sagt: „stopfe alles in dich hinein, was du kriegen kannst!“ Yeah, Fressorgie! Energieriegel, Nudeln, Brötchen - das Expogelände gibt einiges her. Mein Teamkollege Thomas ist schon lange da. Erst überredet er mich und dann ist er einfach fitter! Frechheit. Immerhin haben wir uns in der Gesamtwertung etwas verbessert, was mein Ehrgefühl aber auch nur ein wenig aufbauen kann. Ich kann nur hoffen, dass die Körper der anderen ähnlich angegriffen sind wie meiner. Naja, sind ja nur noch 5 Etappen…
Regenerationshose an und gute Nacht.
Tour Der Leiden: Transalp Zum Dritten
Etappe 3: 133 Kilometer, 6:12:07, 2941 Höhenmeter, 2816 Kalorien
Heute Morgen habe ich mal ein paar Fahrer gefragt, ob sie denn auch schon ein wenig erschöpft seien. „Nee, alles super, mir geht´s bestens“ war die Antwort auf meine Frage. Irgendwann kam es mir komisch vor und ich erwähnte zusätzlich, dass irgendwie alle außer mir die ersten beiden Tage easy weggesteckt hätten und top fit seien. Auch darauf hatten alle eine Antwort: „Jaaaaaaa, klar sagen das alle. Aber die meisten sind auch schon ganz schön fertig. Aber mir gehts super.“ Ja nee, is klar...
Bei der Startaufstellung gesellte sich Michaela zu mir. Irgendwie sind wir schon, ganz ungeplant, den ein oder anderen Kilometer gemeinsam gefahren, weil es vom Tempo her ganz gut passte. Sie war die erste Person an diesem Tag, die zugab, dass sie auch schon ganz schön angeschlagen ist.
Die ersten 18 Kilometer des heutigen Tages wurden „neutralisiert“ gefahren. Wegen einiger gefährlicher Baustellen. Was durchaus Sinn macht, denn einfach geduldig hintereinander her zu fahren liegt offenbar nicht in der Natur des Rennradfahrers. Selbst bei neutralisierter Fahrt nicht. Sobald die Straße breiter wird, wird also fleißig überholt, kommt dann völlig überraschend das Hindernis (z.B. die Baustelle), hört man nur noch ein panisches „Laaaaaaaangsam“ aus dem ganzen Feld und alle bremsen. Stau. Wie auf der Autobahn. Trotzdem überleben wir die ersten 18 Kilometer irgendwie und mir kommt die Fahrt auf Halbgas durchaus entgegen. Danach ist das Rennen eröffnet. Wider Erwarten fühlt es sich ganz gut an und ich kann aus den geschundenen Beinchen enorme Kraftreserven mobilisieren. Nunja - zumindest muss ich nirgendwo schieben, ich falle nicht vom Rad und ich werde auch nicht permanent überholt. Nach dem ersten richtig fiesen Berg erwacht ein Hauch von Optimismus in mir: vielleicht erreiche ich ja doch das Ziel!
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ein fieser, auf fast 30 Kilometer langgezogener Anstieg von über 1000 Höhenmetern und diverse knackige Gebirgspässe stehen heute im Roadbook. Optimales Wetter und eine richtig schöne Landschaft (dieses mal aus dem Bildband „Schweizer Bergbahnen“) sorgen für eine kurzweilige Fahrt. Nur die Rückenschmerzen holen mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Und der allmählig unangenehm werdende Sonnenbrand. Hätte ich mich doch mal eingecremt heute morgen.
An Tag drei offenbarte sich mir erstmals der enorme Druck, der Teamintern entstehen kann, als ein Transalp-Pärchen aneinander geriet. Sie blieb auf dem Randstreifen stehen mit den Worten: „Das ist zu viel Druck“. Er (laut schreiend): FAHR JETZT WEITER!!! Druck ist höchstens am Arsch!!!“ Wie gut, dass mein superfitter Teamkollege Thomas vermutlich schon einen Pass weiter ist und wir uns zumindest nicht streiten können…
Der letzte Pass ist nochmal ein richtiges Arschloch. Aber irgendwie hab ich mir meine Kraft gut eingeteilt und Philipps Tipp am Vorabend (alles in mich hineinstopfen, was ich finden kann) hat offebar auch geholfen, so dass ich mich zu einem kleinen Bergsprint hinreissen lasse, der aber vermutlich so erbärmlich aussieht, dass mir niemand Beachtung schenkt. Die letzte Abfahrt zieht sich hin wie Kaugummi, ich hätte nie gedacht, dass ich mir einmal wünschen würde, dass ein Downhill endlich zuende sei. Endlich im Ziel in Livigno.
Was kann ich tun, um zu retten, was noch zu retten ist? Jawoll: eine Massage! Das tut gut und der freundliche Kneter kann „keinen außergewöhnlichen Befund“ feststellen. „Sind halt hart die Beine, aber das ist ja kein Wunder. Wenn ich fertig bin, läuft das Morgen wieder.“ Ich bin gespannt! Irgendwie wird das Wiederherstellungsprozedere jeden Abend anstrengender: Regenerationsdrinks, Isodrinks, Regenerations-Kompressionshose, Massage, Pasta-Party… bloss nichts vergessen und ab ins Bett! Gute Nacht, ich träume schonmal von der morgigen Königsetappe…
Heute Ein König: Tour Transalp Etappe 4
Etappe 4, die Königsetappe: 141 Kilometer, 6:54:00, 3261 Höhenmeter, 3727 Kalorien
Dank Strava ist der Radsportler von heute ja immer auf dem Laufenden. Ich weiss jetzt zum Beispiel, dass mein Ermüdungsfaktor mittlerweile bei 114 liegt (das krasseste bisher war 69), während meine Form mit -73 auf ein neues Jahrhunderttief zusteuert. Außerdem verrät Strava mir, dass meine durchschnittlich getretene Leistung seit Tagen stetig abnimmt, was in der Realität aber leider nicht bedeutet, dass es sich auch leichter anfühlt. Strava zeigt mir, wer noch alles mit mir fährt (praktisch, da muss man sich nicht in echt kennenlernen) und Strava verrät mit, dass Teamkollege Thomas und ich mit bereits über 400 Kilometern souverän die Wochenwertung unseres Spoke Magazine Reader´s-Club anführen und wenn alles gut geht, wird uns das auch keiner mehr streitig machen.
In der echten Welt habe ich mich heute mit des Rennradfahrers Handzeichen beschäftigt. Da ich auch Mountainbike Downhill fahre bin ich eher extremes Vorausschauen ohne fremde Hilfe gewöhnt und gegenüber sämtlichen „Hand-vom-Lenker“-Moves, die beim Downhill meist unangenehm enden, eher skeptisch eingestellt. Rennradfahrer kommunizieren auf diese Weise aber über den Streckenzustand. Es gibt Zeichen für Schlaglöcher, für „Langsamer!!!“, für Kreisverkehre, und Hindernisse jeder Art. Und grundsätzlich muss ich zugeben, dass es, vor allem, wenn man in einer großen Gruppe fährt, ja auch Sinn macht, sich gegenseitig über Gefahren zu informieren. Aber - versteht mich nicht falsch - man kann es auch übertreiben. Wenn man aufgrund der Gefahrenwarnung selbst zur Gefahr wird, hat man über das Ziel hinaus geschossen. So wie der Sportsfreund vor mir, den ich heute eine Weile beobachtet habe. Er war sehr bemüht um das Wohl der anderen und nutze jede Gelegenheit, in seinen Augen Gefährliches anzuzeigen. Dass er dabei jedes Mal selbst einhändig Kurs auf irgendwelche Schlaglöcher nahm und diesen anschließend mit einer Gegenbewegung und daraus resultierenden Schlangenlinien wieder richten musste, war hingegen deutlich gefährlicher, als das Minischlagloch auf der sowieso komplett zerbombten Straße, vor dem er uns warnen wollte…
Ansonsten muss ich zugeben, dass heute ein sehr schöner Tag war. Es stand ja auch die „Königsetappe“ auf unserem Plan, die längste, härteste der Tour. Nachdem ich mich Morgens noch extrem schwach fühlte, legte sich dieser Zustand und ich kam einigermaßen qualfrei über die Distanz. Die Strecke war echt der Hammer. Die beiden Pässe des Tages (die, wie ich mir sagen ließ, beide zu den härtesten Alpenpässen überhaupt zählen), hatten es ganz schön in sich. Nach ein paar „easy“ Warmup Pässen war der Gavia-Pass eine echte Herausforderung: Über 1400 Höhenmeter am Stück schraubte er sich auf 2621 Meter hinauf, damit erreichten wir heute den höchsten Punkt der Tour. Nicht minder spannend gestalteten sich die folgenden Abfahrten. Eine dieser typischen Gallerien (diese zu einer Seite hin offenen Tunnel) wurde plötzlich zum richtigen Tunnel und somit stockdunkel. Bei der nicht zu verachtenden Geschwindigkeit, die man da drauf hatte, durchaus ein bisschen beängstigend. Doch die Abfahrten sind ohnehin schnell vorbei und es wartete noch der Mortirolo Pass auf uns. Läppische 1000 Höhenmeter galt es zu bezwingen, teilweise war es dabei so steil, dass meine schwindende Beinpower mich zum Wiegetritt zwang. Trotzdem war der Pass richtig schön: die Straße wurde immer schmaler und am Ende fuhren dort fast keine Autos mehr. Zur Belohnung gab´s noch einen echt schönen Downhill runter nach Aprica, dem Zielort der heutigen Etappe.
Mit der Königsetappe haben wir gleichzeitig mehr als die Hälfte der Tour Transalp überstanden. Und auch, wenn die ausstehenden drei Etappen sicher kein Zuckerschlecken sind, bin ich langsam optimistisch, dass ich irgendwie bis zum Ende durchhalte. Jetzt aber endlich wieder: Regenerationshose, Pastaparty, ihr kennt den Rest… bis morgen!
Übern Berg: Auch Etappe 5 ist geschafft!
Etappe 5: 137 Kilometer, 5:20:41, 2322 Höhenmeter, 2415 Kalorien
Ich entschuldige mich für den späten Lagebericht. Aber an Tag 5 der Tour kann es schonmal sein, dass alles etwas länger dauert. Wenn ich aber ganz ehrlich sein soll, ist das nicht die ganze Wahrheit. In Wirklichkeit ist nämlich unsere neue abendliche Lieblingsbeschäftigung etwas aus dem Ruder gelaufen: die hemmungslose Fressorgie. Oder, wie es der Ausdauersportler auszudrücken pflegt: das Carboloading. Nach dem krönenden Höhepunkt dieses Rituals, einem Aprikosenstrudel mit Joghurt-Minzeeis, können wir endlich mit vollen Bäuchen den nächsten Punkt an der Tagesordnung angehen: schlafen. Und damit hätten wir dann genau die drei Dinge abgehakt, die seit dem letzten Sonntag ziemlich exklusiv unseren Tagesablauf bestimmen: essen, schlafen, radfahren.
Die heutige Etappe fühlte sich nach dem inflationären Höhenmeter-Kloppens des Vortages an, wie eine gemütliche Runde um den See. Naja, nicht ganz. Aber knapp 1000 Höhenmeter weniger merkt man dann doch. So blieb ein wenig Luft, um die wirklich schöne Landschaft heute zu genießen. Zunächst schlängelten wir uns relativ entspannt den Passo Tonale hinauf, der uns auf etwa 1800 Metern auf eine 40 Kilometer lange Abfahrt ausspuckte, direkt ins Val die Sole, das ich bisher nur vom Mountainbike Downhill Worldcup kannte. Aber auch auf dem Rennrad ist es wirklich schön hier. Highlight war ein wunderschöner Radweg, der sich mitten durch die welligen Hügel voll mit Apfelplantagen windet. Die Apfelbäume wurden, weil es so warm war, bewässert und ab und zu verirrte sich ein Wasserstrahl auf den Radweg - eine kalte Dusche und eine echte Wohltat!
Nach dem Val di Sole stand „nur noch“ der Mendelpass auf der To Do Liste. Auch der war absolut machbar, was mich dazu verleitete, am Ende ganz vorsichtig anzutesten, ob nicht doch noch ein wenig mehr Druck aus meinen Beinen herauskommen könnte. Da der körperliche Verfall nach 5 Tagen Radfahren allerdings schon weit fortgeschritten war, konnte ich keine Leistungsexplosion entfachen. Musste ich auch nicht, denn auf der letzten Abfahrt erledigte die Schwerkraft den Rest. Die Aussicht auf Kaltern und den Kalterer See war der Hammer! Die Straße, die teilweise wie in den Fels gemeißelt aussah und die meditarranen Häuser samt Palmen sorgten für Urlaubsstimmung. Kurz vor dem Ziel wurde die Tour nochmals über einen Radweg geleitet, dieses Mal mitten durch die Weinberge rund um Kaltern. Wow!
Im Ziel angkommen realisierten wir, dass unser Hotel 5 Kilometer außerhalb liegt. Tatsächlich konnten wir zackig dorthin rollen, allerdings hätte es einen sportlichen Uphill zurück zur abendlichen Pasta Party im Zielbereich bedeutet. Kurzerhand beschlossen wir also, dass wir uns das Abendmenu im Hotel mehr als verdient hatten. Wir waren schlichtweg zu erschöpft und zu faul, um uns auch nur noch einen Meter vom Hotel weg zu bewegen. Und so sitze ich jetzt mit dickem Bauch im Bett und schreibe diese Zeilen. Noch zwei Etappen. Die schaffe ich jetzt auch noch!
Fuck Yeah, It´S Race-Day!
Etappe 6: 126 Kilometer, 4:33:22, 2115 Höhenmeter, 2339 Kalorien
Gestern Abend, nach Etappe 5, fühlte es sich noch an, als sei die Schlacht gewonnen. Heute Morgen holten mich diese tonnenschweren Betonklötze, aka „meine Beine“, auf den Boden der Tatsachen zurück. Zuhause würde die Tour, die heute auf dem Programm steht, schon zu einer der Sportlichen zählen und damit wäre mein Pensum Rennradfahren fürs Wochenende definitiv erfüllt gewesen. Bei der Tour Transalp kommt es mir vor, als wären für die Anderen die letzten beiden Etappen eher eine Art Ausrollen. Für viele vermutlich auch eine Art Zuende-Ertragen. Hirn aus, Augen zu und durch, irgendwie wird man schon ankommen. „Beschwingt“ von diesen Gedanken gesellte ich mich kurz vorm Start zu den beiden Schwalbe Mitarbeitern und eingefleischten Rennrad-Racern Philipp und Peer, die insgeheim die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, mich inklusive rasierter Beine zum Vollblutrennradler zu konvertieren. Mehr aus Spaß deutete ich an, dass ich heute voll auf Angriff fahre. Und bekam sogleich ein paar taktische Empfehlungen. Ich solle mich am besten schon während der neutralisierten Phase hinter dem Pace-Mopped möglichst vorn platzieren, damit ich dann auf dem ersten flachen Stück direkt in einer schnellen Gruppe Windschatten fahren kann. Auf diese Weise könne ich mir ein gutes Polster für die ersten steilen Kletterpassagen aufbauen und mich auch dort von ein paar schnelleren Jungs ziehen lassen. Oder so. Alles verstanden? Dann kann es ja losgehen!
Gerade war es noch ein Spaß aber irgendwie reizte es mich ja doch, mal etwas Rennfeeling in die ganze Sache zu bringen. Und da ich mich aus irgendwelchen Gründen heute einigermaßen gut fühlte, dachte ich mir: jetzt oder nie! Selbst wenn ich heute komplett abkacke, ist es ja auch egal, es kommt ja nur noch eine Etappe. Und so tat ich, wie mir empfohlen wurde: ich sah zu, direkt zu Beginn in meinem Startblock C so weit es ging nach vorn zu fahren. Als das Rennen dann eröffnet war, klinkte ich mich in eine recht schnelle Gruppe ein, um die ersten rund 30 Kilometer mit ihnen Windschatten zu fahren. Puh, das wird sportlich! Ich muss ganz schön reintreten und der Puls geht hoch. Aber alles im Rahmen, auch wenn es so auf alle Fälle anstrengend wird. Dann der erste Berg. Von Anfang an mache ich - für meine Verhältnisse - richtig Druck und kann die üblichen Verdächtigen, mit denen ich sonst so zusammen fuhr, schnell abhängen. Dumm nur, dass die Waden oben angekommen schon ganz schön am brennen sind! Ob ich das auf diese Weise durchhalte? Ich habe da ernste Zweifel...
Aber ich denke mir: komm is egal, quäl dich du Sau! Solange die Herzfrequenz nicht komplett im roten Bereich ist, wird es schon gehen. Ich fange an, über jeden meiner Schritte nachzudenken. Ich schneide Kurven auch bergauf ganz innen, ich nutze den Windschatten, wo es geht, ich versuche mich kurzfristig auszuruhen, wo es Sinn macht und ich überlege mir sogar, eine der Verpflegungsstationen auszulassen, um Zeit zu sparen. Und ich vergesse komplett, unterwegs irgendwelche Selfies oder Landschaftsfotos zu machen.
Kurzum: ich bin im Rennmodus. Yeah!
Ich verdränge den Gedanken daran, dass weder meine Leistung noch meine Platzierung irgendeine Rechtfertigung für eine derartige Euphorie darstellen und genieße den Moment. Wie die Waden brennen, wie die Lunge pfeifft und wie der Schweiss läuft. Und so leid es mir für alle tut, die lieber meine jämmerlichen Leidensgeschichten lesen würden, so muss ich leider sagen: das macht mir hier gerade verdammt nochmal Spaß! Und während ich es mir richtig besorge, kann ich nur hoffen, dass sich meine Schufterei am Ende irgendwie bemerkbar macht und das Ganze hier nicht nur das Produkt meiner lebhaften End-Deliriums-Fantasie ist. Eine etwas bessere Platzierung als sonst würde mir ja schon reichen...
Am letzten Berg trete ich nochmal richtig rein, bis nichts mehr geht. Dann der finale Downhill. Kurz bevor es losgeht, zieht doch tatsächlich noch jemand an mir vorbei! Na Warte, mein Freund, bergab krall ich mir dich! Von wegen Feierabend, ich muss nochmal ran. Ich trete bergab, wie es nur geht und spiele meine offenbar vom Mountainbiken recht gut übertragbare Kurvenfahrtechnik aus. Kurz vor der Ziellinie setzte ich zum Zielsprint an. Ich glaube sogar, dass der dreiste Überholer dies als solchen registriert hat und sich ein bisschen ärgert, dass der Typ mit den Scheibenbremsen und den Haaren an den Beinen noch an ihm vorbei zieht. Für mich ein perfektes Ende eines tollen Rennens.
Und hat es sich denn nun gelohnt?
it großer Freude kann ich sagen: JA! Ich kam nur 20 Minuten hinter meinem Teamkollegen Thomas ins Ziel, der mir sonst immer irgendwas um eine Stunde abgenommen hat. Und ich konnte unseren Gesamtplatz im Vergleich zum Vortag um 13 Positionen verbessern. Und das Beste: morgen zum Finale starten wir nicht mehr aus Startblock C, sondern aus B!
Muss ich doch noch den Rasierer anschmeissen? Später bei der Pasta Party werde ich mal Phillip und Peer fragen…
Lektion im Ertragen: Mission accomplished!
Etappe 7: 85,1 Kilometer, 3:40:00, 2163 Höhenmeter, 1913 Kalorien
Jaaaaaaaaaaaaa! Ich bin endlich im Ziel! Endlich! 7 Tage lang habe ich mich auf diesen Moment gefreut und mich immer wieder gefragt, warum man sich das antut. Nach der unerwarteten Euphorie während der sechsten Etappe, schien es, als wäre die finale Fahrt nur noch eine Formalität…
Doch merke: nur weil man einen Block weiter vorn startet, besitzt man keine Superkräfte!
Vorn bei den schnelleren Jungs ging es direkt etws zackiger zur Sache. Dieses mal ganz ohne großartiges Einrollen ging es direkt aus Trento heraus in den ersten kernigen Anstieg. Oben angekommen war mir klar: das wird heute kein Zuckerschlecken! Und auch, wenn ich darauf gefasst war, dass ich aus Block B heraus wohl öfter mal überholt werden würde, so war es doch jedes Mal Salz in meine Wunden, wenn ein deutlich stärkerer Fahrer an mir vorbei zog. Doch es sollte noch fieser werden. Hätte ich vorher mal ein bisschen gerechnet, wäre es von Anfang an klar gewesen. Die Physik kann man nicht austricksen: 30 Kilometer weniger als am Vortag aber mehr Höhenmeter - irgendwie logisch, dass dass einige böse Anstiege bedeutet!
Von Beginn an muss ich mich ganz schön quälen. Doch ich beisse mich durch. Mich treibt der Gedanke daran, endlich, nach 7 harten Tagen, im Ziel anzukommen und das Rad in die Ecke zu stellen. Endlich ausruhen, endlich dem Körper die Chance geben, sich zu erholen. Ich bin so heiss darauf, dass ich am ersten Service Stopp beschließe, durchzufahren. Ich habe noch genug Energieriegel und auch genug Wasser, wozu also Zeit verschwenden. Dann kommt der Anstieg. Und der ist nochmal verdammt steil. Zum Glück soll auf der Hälfte der zweite Servicestopp sein, das habe ich mir so eingeteilt. Dennoch bin ich kurz davor zu verzweifeln. Die Sonne knallt, der Berg ist verdammt steil, mein Körper ist am Ende. Ich trete und trete, doch es fühlt sich an, als würde ich auf der Stelle fahren.
Ich könnte kotzen! Gibt es so etwas wie Uphill-Tourette? Falls ja, dann habe ich das. Ich habe keinen Bock mehr auf diesen verXXXten Berg, ich hasse die XXXXX Sonne, ich hasse mein beschissenes Fahrrad und die Natur hier ist auch total zum Kotzen. Ich will nicht mehr. Doch was sind die Optionen? Aufgeben kommt ja wohl nicht in die Tüte, es sei denn, mein Körper bricht endlich zusammen und sorgt für ein halbwegs heldenhaften Ausscheiden. Eine Pause machen? Dann brauche ich ja noch länger. Es bleibt Variante 3: Hirn aus, Zähne zusammenbeissen und irgendwie weitertreten. Nach einer gefühlten Ewigkeit nähere ich mich der Kilometermarke des zweiten Stopps. Wurde auch Zeit, mein Wasser ist alle. Ich gebe nochmal Vollgas, gleich ist ja Pause. Doch der Stopp kommt nicht. Nicht einen Kilometer später, nicht zwei, nicht drei. Bin ich etwa so fertig, dass ich ihn übersehen habe? Welch fataler Fehler! Es ist viel zu warm, um ohne Wasser den Rest des Berges zu schaffen. Ich frage einen Leidensgenossen. Offenbar wurde es irgendwann bei der Streckenbesprechung am Vortag erwähnt: der zweite Stopp wurde verschoben. Er kommt kurz vorm Ziel. Das erscheint mir in diesem Moment mehr als sinnlos, aber ich muss es hinnehmen. Ich versuche, die letzten Tropfen aus meiner Trinkflasche zu quetschen. Es kommt nichts mehr. Warum gibt es an diesem Kack Berg keine Quelle, wenn man sie einmal braucht? Was passiert wohl, wenn man viel zu wenig trinkt? Ich bin auf alles gefasst…
Dann die Rettung: jemand am Streckenrand bietet mit eine Dose Limo an. Oh ja, das ist mit Abstand die beste Limo, die ich jemals getrunken habe! Neuer Mut erwacht und ich trete stumpf weiter. Meter für Meter. Bis er endlich kommt. Der letzte Servicestopp. Noch einmal ein Stück Melone, ein Stück Kuchen, eine Orange. Und 4 Becher Wasser. Dann schnell weiter. Noch ein knackiger Anstieg. Ich kann nicht mehr, aber der Gedanke an das Ende treibt mich zu einem letzten Kraftakt an. Ich trete rein, bis die Beine brennen. Noch drei Kilometer bergauf. Gleich ist es geschafft! Ich überhole noch ein paar Fahrer. Dann die Bergkuppe. Noch 10 Kilometer Downhill, die ich zu genießen versuche. Der Blick auf Riva und den Gardasee hilft dabei. Die Ziellinie. Yeahhhhhhhhhh! Geschafft! Etappe 7 ist überstanden. Ich bin einfach nur erleichtert. Wie mehr als 1000 Andere auch. Ich habe es wirklich geschafft. Vor 7 Tagen war ich mir da alles andere, als sicher.
Ich habe 21 Alpenpässe überquert, 885 Kilometer gerockt und 19132 Höhenmeter platt gemacht. Und ich finde, dass ich mich irgendwie ganz gut geschlagen habe, ein Hauch von Stolz macht sich breit. Trotz unrasierter Beine und trotz Erkältung bin ich im Ziel angekommen. Aber es hat auch irgendwie auf eine ganz spezielle Weise extrem viel Spaß gemacht! Mit einem halben Tag Abstand habe ich sogar mein Rad wieder gern und die Alpen sind doch irgendwie ganz schön.
Im nächsten Spoke Magazine gibt´s natürlich auch nochmal eine Story zur Tour, lasst euch überraschen;)
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