AUF EINEM BEIN LÄSST SICH GUT FAHREN!
Während seines #spokexmasride traf SPOKE Chefredakteur Martin Donat eine Menge freundlicher und interessanter Typen. Seine letzte Etappe endete in Kiel, wo er ein besonders spannendes Exemplar Radfahrer traf. Nicht nur, weil er dem Rennrad das Downhill-Mountainbike vorzieht...diese Geschichte wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten.
Downhillfahren mit einer Beinprothese? Dass das irgendwie geht, hatte ich schonmal gesehen. Aber so recht hatte ich niemanden vor Augen zu diesem Thema. Bis neulich das Telefon klingelte… Am anderen Ende ertönte ein freundliches „Moin“. Stephan Buechler am Apparat. Seit 20 Jahren beinamputiert, seit 20 Jahren umso mehr Leichtathlet, Surfer und: Downhillfahrer. Warum zur Hölle hatte ich diesen Typ noch nie getroffen? Höchste Zeit, das zu ändern! Und so rolle ich am Silverstertag, ein paar Stunden vor den großen Feierlichkeiten, auf einen Hof im hohen Norden der Republik. Stephan wohnt in Kiel, direkt an der Ostsee. Ich werde schon erwartet. Mit schnellen Schritten kommt er auf mich zu und nimmt mich in Empfang. Und der Typ soll eine Beinprothese tragen?
Macht er. Der Beweis ist schnell erbracht. So recht zu jucken scheint ihn dies aber nicht. Obwohl die ganze Geschichte sein Leben einst vollständig umkrempelte. Mit 15 verlief Stephans Leben noch ganz ‚normal‘: „Ich hatte damals intensiv Leistungssport betrieben, Leichtathletik. Es begann ganz klassisch mit einer Schwellung, Rötung und Schmerz. Ich ging zwar zum Arzt damit aber im Grunde kam nichts dabei heraus und ich habe einfach weiter trainiert. Nach über einem Jahr dann die Diagnose, dass ich Knochenkrebs habe. Damit begann eine 2-jährige Therapie mit Chemotherapie und der Amputation des Beines. Das war am 7. Februar 1997 um 7 Uhr 43. 16 war ich, als sie mir das Ding abgenommen haben.“ Stephan berichtet ganz locker darüber, wie andere über eine Prellung am Oberschenkel. Doch allein, dass er sich noch an die genaue Uhrzeit erinnert zeigt, um was für ein einschneidendes Erlebnis es sich gehandelt haben muss. „Ich war damals voll im Sport drin und hatte natürlich ganz andere Lebensträume, als es sich dann ergeben hat. Und natürlich waren die 2 Jahre Chemotherapie eine echt intensive Lebenszeit. Das wünsche ich nicht meinem schlimmsten Feind. Zu meiner schlechtesten Zeit habe ich nur noch 52 kg gewogen bei 1,94 m Körpergröße. Es ist nicht der Krebs, der dich tötet, sondern die Chemo. Als ich damit fertig war, war ich 18. Vom Kopf her aber wie ein 40-Jähriger. Nach der Chemo habe ich überlegt, was ich machen kann. Im Grunde hörst du in so einer Situation ja erst einmal, was du alles nicht machen kannst. Aber das war für mich nie ein Thema. Hätte ich das gemacht, was man mir damals gesagt hat, würde ich immer noch mit Unterarmgehstützen humpeln.“
Ich nippe an meinem Minztee, denn mir Stephan frisch aufgebrüht hat, während wir im Wohnzimmer sitzen und Stephan eine Anekdote nach der anderen raushaut. Locker flockig und frei heraus. Stephan nimmt kein Blatt vor den Mund und an Selbstvertrauen scheint es ihm nicht zu mangeln. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Eigenschaft nicht ganz unschuldig daran ist, was Stephan aus einem Handicap gemacht hat. Dazu eine kleine Portion Verrücktheit, vielleicht auch eine etwas größere, und schon könnte man sich eine Erklärung dafür zusammenreimen, warum es ihm nicht gereicht hat, einfach nur den Alltag zu meistern, sondern sich in so ziemlich jeder Actionsportart auszuprobieren, die man sich so vorstellen kann. Dabei war das gar nicht der Plan, versichert mir Stephan: „Mir ging es damals einfach auf den Sack, von anderen abhängig zu sein. Sich mit dem Auto von a nach b fahren lassen und so etwas. Es war nie meine Intention Profisportler zu werden. Ich wollte einfach mit 18 Jahren nicht ständig andere Leute um Hilfe bitten müssen. Und so ging das los. Ich begann mich für die Materie zu interessieren und begann eine Ausbildung zum Orthopädietechniker zu machen. Heute baue ich meine Beine selber, berate andere Amputierte, gebe Kurse in Rehazentren, mache Gangschule, halte Vorträge, entwickele Kniegelenke, mache präoperative Gespräche und so weiter. Ich würde das so zusammenfassen: Im Großen und Ganzen agiere ich als Vorbild und zeige den Leuten, wie es weitergehen kann. Das macht mir tierisch Spaß. Und es ist der Wahnsinn, was ich ‚dank‘ meines Handicaps alles gesehen und erlebt habe. Und ich habe das Gefühl: es geht jetzt erst los!“
„Ich fand dieses Irrwitzige dabei so geil: Sie schneiden dir das Bein ab und ich fahre trotzdem Rad. Jeder andere hätte vielleicht über Sitzvolleyball nachgedacht.“ Stephan Buechler
Ja und warum nun Downhill? Dazu muss Stephan etwas weiter ausholen…: „Ich komme ja aus den neuen Bundesländern. Mein Vater und ich hatten damals, 1989, mit den ersten BMX Club gegründet, den es in Mecklenburg gab. Wir sind schon zu DDR Zeiten BMX Rennen gefahren. Ich kannte auch den DDR Meister im Motocross. Bin also irgendwie mit diesen Offroad Geschichten groß geworden. Dann kam die Wende und Sachen wie Basketball wurden interessant. Aber der Radsport war irgendwie immer da. Die richtige Passion dafür kam aber tatsächlich erst, als sie mir die Haxe abgeschnitten hatten. Ich fand dieses Irrwitzige dabei so geil: Sie schneiden dir das Bein ab und ich fahre trotzdem Rad. Jeder andere hätte vielleicht über Sitzvolleyball nachgedacht. Das war für meinen Kopf gut, das war für meine Entwicklung gut und ich wollte einfach anderen Leuten zeigen, was man trotzdem machen kann. Natürlich ist eine Amputation ein einschneidendes Erlebnis. Aber es ist nicht vorbei. Der Arzt hat das Bein ja nicht amputiert, weil er Langeweile hatte, sondern weil es eine lebensrettende Maßnahme war. Ich hatte damals die Wahl: entweder 51 cm Bein in die Kiste oder 194 cm komplett. Für mich war das nie ein Ende, sondern ein Anfang, es hat eher meinen Ehrgeiz geweckt. Ich wollte für mich selber herausfinden, was geht und was ich z.b. auch an der Prothese oder am Rad verbessern kann. Downhillrennen zu fahren war eigentlich immer nur ein Hobby. Das ist hier oben im Norden ja auch nicht ganz so einfach. Mein Ding waren immer schon eher einzelne, größere Projekte, bei denen ich wirklich meine Grenzen ausloten konnte. So etwas wie die Extremity Games in den USA, die ich zweimal gewinnen konnte, was mir gezeigt hat, dass ich mit dem was ich mache kein One-Hit-Wonder bin. Etwas, was ich immer schon als Idee im Kopf hatte, war das Megavalanche Rennen in Alpe D´Huez. 2013 war es endlich soweit! Ich bin da runter gefahren, habe mich zweimal gemault aber mir ist nichts passiert. Es war granatenmäßig stark aber ich war im Ziel fertig wie ein Brötchen!“
Wie andere ihr Hobby, so hat Stephan sein Handycap zum Beruf gemacht. Er arbeitet bei „OT Kiel“, wo er Ansprechpartner für andere Amputierte ist und mit seiner persönlichen Erfahrung anderen helfen kann. Dabei treibt ihn weiterhin die Lust an, herum zu probieren und neue Limits zu erreichen. Gerade ist ein neues Projekt in der Pipeline: „Fürs Surfen bekomme ich bald ein neues Bein, das ist noch nicht hier. Das hat eine microprozessor gesteuerte Dämpfung, was beim Surfen unbedingt nötig ist. Außerdem ist das Gelenk wasserdicht. Es gibt hunderte Kniegelenke und hunderte Füße auf diesem Markt. Ich als Orthopädietechniker stelle daraus das optimale Bein zusammen. In den letzten 10.000 Jahren sind uns keine Kiemen oder Flügel gewachsen aber wir können durch unsere Ingenieursleistung und den menschlichen Verstand solche Handicaps ausgleichen. Das finde ich schon ein bisschen geil. Natürlich ist die ganze Geschichte nicht toll aber man kann heutzutage unheimlich viel ausgleichen.“ Also gar keine Einschränkungen mehr? Die Antwort ist typisch Stephan: „Ich kann mich ehrlichgesagt nicht mehr erinnern, wie es ist auf zwei Beinen. Jedenfalls hat das Ganze ja auch Vorteile: Ich kann mir den Fuß nicht mehr verstauchen, muss mir die Zehnägel nicht schneiden…“
Auf Stephans großer ToDo Liste steht ein Besuch im Whistler Bikepark/Kanada ganz weit oben. 2017 soll allerdings erstmal eine Neuauflage des Megavalanche Rennens angegangen werden. Vielleicht sieht man sich ja in Alpe d’Huez?
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