Spoke 35

Spoke 35

Ab dem 7.2.2018 im Handel

Features

SUNDAY IN HELL

Heroes Part 2 - 48:30.00

 

Dan Holmberg wusste, sie würden demnächst auf das Schlagloch treffen, aber er wusste auch, er würde es nicht kommen sehen. Er saß rücklings auf einem Motorrad. Der Vorteil dabei: Sein Blick auf die Spitzengruppe war unübertroffen, wie sie in den ersten Kopfsteinfplaster-Sektor in Neuvilly pressten, wie eine Herde Wildpferde in Panik. Dan und Leth hatten diese Stelle am legendären Anstieg in das Dorf Ichy als eine Schlüsselstelle des Rennens ausgemacht. Er musste also nur noch warten bis Merckx, De Vlaeminck und Konsorten auftauchen.

“Ich hatte mir die Strecke angeschaut und war mir bewusst, dass es ziemlich gefährlich war” erinnert sich Dan. “An einer Stelle der Straße gab es einen beträchtlichen Hubbel.” Der Sitz des Motorrades war zu klein, um sicheren Platz für ihn und den Fahrer zu gewährleisten. Er hatte noch versucht, den Fahrer zu überzeugen einen SIcherheitsbügel und zusätzliche Fußrasten zu installieren, aber das war nie passiert.

“Es kam also genau so, wie wir uns das gedacht hatten: Das Rennen nahm genau hier richtig Fahrt auf. Wir hatten ein Rennen, es war sehr schnell und ich war mit dem Motorrad direkt davor. Verkehrt herum auf dem Sitz. Ich bekam das ganze hautnah mit, es war eine wundervolle Einstellung. Der Staub wirbelte auf und Roger De Vlaeminck versuchte, mich aus dem Weg zu winken. Aber das ging nicht! Mein Fahrer fuhr so schnell es ging! Da kam der ‘Hubbel’ und ich flog in die Luft … zum Glück bin ich wieder auf dem Sitz gelandet aber es war sehr knapp.”

“Sie es dir an. Es passiert direkt nachdem Roger De Vlaeminck versucht, mich weg zu jagen. Die Kamera fliegt in die Höhe. Das bin ich, der da fliegt.” Rückblickend gibt es einige Aufnahmen, die Dan Holmberg an diesem Tag sehr gut gefallen, aber “hauptsächlich bin ich froh, an dieser Stelle nicht vom Motorrad gefallen und unter Roger De Vlaemincks Team Fahrzeug begraben zu sein. Es macht mir immer noch höllisch Angst, wenn ich diese Szene sehe”

 

Aus William Fotheringham, “Sunday In Hell”, Yellow Jersey Press, 9780224092029



 

Das Projekt ist auf mehreren Ebenen sehr ambitioniert. Niemals zuvor wurde ein Rennen in seiner Gänze abgebildet. Der dänische Filmemachter und Dichter Jørgen Leth hatte in seinem Film “Stars and Watercarriers” über den Giro d’Italia 1973 noch Material über viele Tage gesammelt und daraus eine Handlung gestrickt. Sein Plan für Paris-Roubaix 1976 war, das gesamte Rennen einzufangen und daraus einen FIlm zu machen. Ein Drehtag. Kein Nachdreh. Keine zweite Chance. Der Charakter des Rennens macht es ihn dabei nicht leicht. Oft sind die Straßen zu schmal und zu schlecht, um sich als Kamerateam frei bewegen zu können.

William Fotheringham rekonstruiert in seinem Buch “Sunday In Hell” die Planung, Vorbereitung und Dreharbeiten zu Leths Doku-Klassiker. Von der ersten Idee über die Verhandlung mit den Veranstaltern des Rennens bis zu den Dreharbeiten und die Post-Production. Dabei räumt er viel Platz der eigentlichen Entwicklung des Rennens und seiner Route über die Jahre ein. Ein Paradoxum, dass das älteste und archaischste aller Radrennen den meisten Änderungen unterworfen ist. Es gibt schlichtweg nicht mehr genug Straßen, die schlecht genug für Paris-Roubaix sind. Ein weiterer Schwerpunkt gilt dem Leben und Schaffen des Regisseurs Jørgen Leth, dessen Hintergrund und Schaffen, und so liest sich das Buch stellenweise wie Leth-Fanliteratur. Doch das alles hilft um zu verstehen, warum der Film “A Sunday In Hell” so ist, wie er ist.  

Erzählt man einem Aussenstehenden von Paris-Roubaix, erntet man im besten Falle Unverständnis. In Zeiten von Fat Bikes und 25 Zentimeter Federweg ist es etwas schwierig zu vermitteln, was an einem Rennen mit Rennrädern über mieses Kopfsteinpflaster so toll sein soll.

Der spärliche Kommentar erklärt genau soviel, wie ein Neuling wissen muss, aber nicht soviel, dass es einem Radsport-Kenner auf den Wecker gehen würde. A Sunday in Hell lässt hauptsächlich die Bilder sprechen und gibt ihnen Zeit. In einer der wichtigsten Einstellungen des Filmes bleibt die Kamera starr nach der Führungsgruppe stehen und der Sprecher zählt die Sekunden, bis die Verfolger auf dem Bildschirm erscheinen. Es ist genau diese authentische Abbildung des Rennverlaufes, die dem Regisseur so wichtig ist. Man soll das Rennen erleben, als wäre man dabei. Das erklärt auch die vielen O-Töne, die ohne Untertitel oder Übersetzung daher kommen. Die verschrobenen Radsportfans in der Kneipe von Valenciennes, die mehr vom Rennen verstehen als so mancher Sportreporter. Man versteht was sie sagen, sei es auch nicht unbedingt auf sprachlicher Ebene.

Die Musik und das Sounddesign tun ihr übriges, um Paris-Roubaix raus aus dieser Welt in die Sphären epischer Götergestalten und ihrer Zweikämpfe zu hieven. Der langsam anschwelllende Chorgesag zum Einsatz des Pave macht die Gedankenwelt der Gladiatoren hörbar: Pave. Paris-Roubaix. Für mehr wird in den gebeutelten Hirnen der Fahrer zu diesem Zeitpunkt kein Platz mehr gewesen sein.  

Leth besingt das Rennen, er überlässt vieles dem Zufall und wird dafür mit Szenen belohnt, die sich niemals hätten planen lassen.

Am Sonntag startet die Königin der Klassiker zum 116. Mal. Grund genug, sich noch einmal "A Suday In Hell" anzusehen. William Fotheringham liefert mit "Sunday In Hell" ein überaus spannendes Buch welches neben vielen interessanten Einblicken in die Produktion des Filmes auch eine Fülle Wissenwertes um dieses eigenartige Rennen liefert. Unbedingte Kaufempfehlung!

https://www.amazon.de/Sunday-Hell-Behind-Greatest-Cycling/dp/0224092022

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